Hintergründe
Gestatten: Dennis R. D. Mascarenas,TV-Jounalist. Arbeitet für DDC-TV, ein deutschsprachiges Programm in den USA.
Bei seinem ersten Deutschland-Streifzug kam er 1995 in ein Land, das noch die Wunden der Vergangenheit leckte und sich dabei in immer absurdere politische Scharmützel verstrickte. Alles, was diesem Volk über die langen Jahre der europäischen Nachkriegszeit hinweg Sicherheit und Halt gegeben hatte, war in Auflösung: da verliefen die Gräben mit einem Male nicht mehr zwischen links und rechts, sondern viele kleine Gräben trennten Männer von Frauen, Metzger von Vegetariern, Autofahrer von Radfahrern – ja, selbst die Kuckucksuhrenbauer waren untereinander zerstritten. Und alles wurde von einem gigantischen Gartenzwerg regiert.
Mit dokumentarischen Mitteln legte „Deckname Dennis“ tiefliegende, verborgene Schichten der deutschen Volksseele frei und war mit mehr als 30.000 Kinobesuchern in den späten 90-er Jahre ein kleiner Geheimtipp der Programmkino-Szene. Die Kritik würdigte den Film als „ethnographische Reise ins eigene Land“. Der Kabarettist Matthias Beltz trug als Co-Autor dazu bei, das dokumentarische Deutschlandbild des Films satirisch zuzuspitzen. Es war eine Reise, die ihn von harmlosen Verirrungen bis zu schweren Fällen politischer Verwirrtheit führte.
Die Situation heute
Seitdem ist alles noch unübersichtlicher geworden. Was um uns herum passiert, verstehen wir sowieso nicht mehr. Mit einem Knopfdruck lassen sich die seltsamsten Abläufe in Gang setzen. Computer zerlegen alles in Bits und Bytes, Forscher zerlegen das Erbgut, Entgrenzung greift um sich, wohin man sieht. Und über allem schwebt der schwere Verdacht, dass man das, was zerlegt wurde, am Ende nicht mehr zusammenkriegt.
Nicht einmal unseren Politikern traut man zu, dass sie Ordnung in dieses Chaos bringen können. Entpolitisierung macht sich breit.
„Die rasante Entwicklung unserer äußeren Welt wird für jeden Einzelnen von uns immer stärker fühlbar. Fernsehen, Computer, Multimedia - aber auch das allgemeine Arbeitstempo, Zentralisierung und Globalisierung halten einen atemberaubenden Einzug.
Es ist der Lauf der Zeit, dass die Schwingung des Planeten immer höher wird und dies seine unübersehbaren Auswirkungen mit sich bringt.
Um so wichtiger ist es daher, unsere innere Entwicklung voranzutreiben.“
So steht es im Werbeprospekt eines von unzähligen deutschen Esoterik-Unternehmen.
Je hartnäckiger unser Alltag Antworten auf die Frage nach dem Sinn verweigert, je komplizierter und undurchschaubarer gesellschaftliche Abläufe werden, desto attraktiver erscheinen einfache Lösungen, irrationale Erklärungsmuster, irrationale, aber in sich geschlossene Gedankengebäude. Immer mehr Menschen glauben zu begreifen, was wirklich wesentlich im Leben ist: das Ewige natürlich: die Natur. Die Sterne. Der Mond.
Was also ist zu tun?
Ganz einfach: Abwarten, Mondphasentee trinken, biodynamisches Gemüse essen, kurz: endlich wieder ganzheitlich leben, und vielleicht schauen, ob wir irgendwo Gleichgesinnte treffen, mit denen wir uns die Wartezeit bis zum Weltuntergang verkürzen können. Magische Praktiken, Esoterik, aber auch Endzeitphantasien und Verschwörungstheorien treiben auf dem Boden des antiaufklärerisch postmodernen Zeitgeists tausendfache Blüten.
Und was Menschen so alles glauben, ist schier unglaublich. Harmloses steht da neben Gefährlichem, Altgermanisches neben Okkultem, Spirituelles neben Faschistoidem - und zuweilen vermischt es sich zu einem schwer durchdringbaren Konglomerat weltanschaulicher Desiderate.
Es ist die Exkursion in eine nahezu unsichtbare und doch omnipräsente Gegenwelt zur Rationalität unseres Alltags. Bizarr, und dabei seltsam durchdrungen von Modernismen, die das angeblich uralte geheime Wissen der Menschheit in die Erfordernisse unserer Zeit übersetzen. Leicht befremdet lesen wir zum Beispiel im offiziellen Veranstaltungskalender einer deutschen Stadt Seminarankündigungen wie diese:
Workshop Aufgestiegene Meister
In Anwesenheit Aufgestiegener Meister - z.B. Maria, Jesus Sananda, St. Germain, Lady Nada - erleben wir eine intensive Schulung zum Frequenzanstieg für das Neue Goldene Zeitalter. Sie wurden erleuchtet, gottgleich und somit fähig, ihre Bewusstheit auszudehnen und sich von der materiellen Welt zu befreien. Sie waren fähig, sich selbst und die Welt um sie herum zu transformieren. Diese Wesen müssen nicht mehr auf die Erde zurückkehren, um weiter wachsen zu können. Teilnahmegebühr: 60 Euro
Ein TOP-Thema
„Grenzphänomene“, wie es euphemistisch heißt, treiben offenbar mehr Menschen um, als wir es in unserem aufgeklärten Zeitalter vermuten möchten. Mehr als 10 Millionen Menschen haben –Verlagsangaben zufolge - in den letzten Jahren Kalender und andere Publikationen des Autoren-Duos Paungger-Poppe gekauft – und das ist nur ein Teil des breit gefächerten Literaturangebots zu diesem Thema. Die Populisten des Medienbetriebs haben längst auf diesen Trend reagiert, und inzwischen fischt selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit reißerischen „Dokus“ in den Gewässern des Übersinnlichen. Die Bandbreite des Umgangs mit solchen Themen ist nicht besonders groß: gleichgültig, ob man uns die größten Absurditäten wie Fakten vorführt, oder ob sie von kritischen Journalisten nach allen Regeln der Enthüllungskunst zerpflückt werden – das eine wie das andere geschieht mit unerschütterlichem Eifer.
Unser Film hingegen will weder anprangern noch enthüllen. Wir beobachten, hören zu, ordnen ein. Dabei nimmt Dennis seine Gesprächspartner durchaus ernst: in ihrer Normalität, aber auch in all ihrer Skurrilität. Die Beurteilung obliegt dem Zuschauer selbst. Sollte sich dabei die Grenze zwischen gesellschaftlich akzeptierter Allerweltsesoterik und weltanschaulichem Hardcore ganz allmählich verschieben, so entspräche auch das der vorgefundenen Realität. Die Übergänge sind fließend.
Das Prinzip Dennis
Dennis R. D. Mascarenas, der Amerikaner, der sich vor keiner noch so simplen Frage fürchtet und dabei immer auch ein bisschen ratlos wirkt, überzeugte bereits bei unserer ersten gemeinsamen Arbeit. Als wissbegieriger, interessierter und verständnisvoller Zuhörer, aber, was viel wichtiger ist: auch als Sympathieträger.
Für die Erforschung einer Welt, die den Blicken der Öffentlichkeit normalerweise entzogen ist, ist er der richtige Mann. Er kommt aus einem Land, in dem -zumindest unserer Vorstellung nach- alle nur erdenklichen Phantasmen zur Folklore gerechnet werden. Vom Vertreter eines deutschsprachigen US-Senders darf der deutsche Esoteriker einfach mehr Verständnis erwarten.
Und das stimmt auch.
Denn Dennis ist kein typischer Reporter.
Weder versucht er, seine Gesprächspartner aufs Glatteis zu führen, noch will er sie eines Besseren belehren. Er kann zuhören und gibt damit jedem einzelnen die Chance, sich selbst und sein Anliegen vorzustellen. Er widerspricht nicht einmal dann, wenn die Ansichten -um es vorsichtig auszudrücken- nicht mehr von der Mehrheit in unserem Land geteilt werden. Dennis erschließt auf diese Weise Welten, die der Kamera sonst nur schwer zugänglich sind.
Trotzdem führt er die Menschen nicht vor.
Nie ist er auftrumpfend oder belehrend.
Aber zuweilen teilt der das Unverständnis über das Erlebte mit seinem Publikum.
Die Mondverschwörung: Absurde Reise vor ernstem Hintergrund
Hauptthema des Films ist der Blick auf die antimoderne Massenflucht in Esoterik, Okkultismus und Innerlichkeit.
Deshalb ist „Die Mondverschwörung“ auch keine unstrukturierte Nummernrevue kurioser gesellschaftlicher Randerscheinungen. Indem der Film die angesprochenen Themen assoziativ weiterführt, ordnet er sie in einen größeren Zusammenhang und dringt dabei mit jedem Schritt tiefer in bislang ungeahnte Welten vor. Die Reise, die so harmlos beginnt, endet dort, wo die extreme politische Rechte in diesem Land ihr Winterquartier aufgeschlagen hat.
Und das ist kein Zufall. Denn die Rassenideologie der Nazis, ihr Begriff von einer „Herrenrasse“, die faschistische Ausprägung des Antisemitismus, die faschistische Verquickung von Volk, Staat und Gesellschaft, die Ordensstruktur der SS und die Übernahme des Hakenkreuzsymbols – vieles davon ist aus mythisch-esoterischen Vorstellungen herausgewachsen.
Esoterik als Einfallstor für antidemokratisches Gedankengut
Ein Teil der politischen Rechten strickt bis heute mit System an diesen Mythen. Unter ständigem Verfolgungsdruck haben sich rechte Gruppen in die innere Emigration esoterischer Vorstellungen zurückgezogen, wobei sie sich freilich nicht auf das Praktizieren neu-heidnischer Rituale und das Abbrennen von Sonnenwendfeuern beschränken, sondern überall dort aktiv zu missionieren versuchen, wo Menschen für irrationale Vorstellungen empfänglich sind.
Was mit vermeintlich harmlosem Gläserrücken oder Tarot-Karten-Legen anfängt, gipfelt nicht selten in Hingabe an eine Blut-und-Boden- und Herrenmenschen-Ideologie. „Nachdem die meisten rechtsextremen Parteien einen Niedergang erleben mussten, gilt die Esoterik als wichtigster Blockadebrecher der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, sagt Rainer Fromm, der als Kenner der Satanisten-Szene gilt. [...]
Vom offenen militanten Neonazismus, über den Satanismus mit seiner antijüdisch-antichristlichen und sozialdarwinistischen Ausrichtung, ariosophische Rassenlehren, bis zu antisemitischen Weltverschwörungstheorien – in der Okkultismus-Szene sind so ziemlich alle Facetten des Rechtsextremismus vertreten. »Sehr häufig finden sich Lehren, die bestimmten Bevölkerungsgruppen das Lebensrecht absprechen und die massenhafte Auslöschung von Menschenleben als karmaistische Notwendigkeit propagieren«, berichtete Fromm.
Häufig verschanzen sich Neonazis hinter Esoterik, um ihren verfassungsfeindlichen Aktivitäten unter dem Schutz der »Religionsfreiheit« nachzugehen. [...]
Schon die Unmengen an verschwörungstheoretischer Literatur, die in New-Age-Buchhandlungen über den Ladentisch gingen, und die von der NPD wieder entdeckte Traditionspflege neuheidnischer Kultur seien Hinweis genug, warnte Rainer Fromm, »dass die Esoterik derzeit als das gefährlichste Einfallstor des Rechtsextremismus zu werten ist«. („Brennpunkt Esoterik“, Hrsg.: Behörde für Inneres, Hamburg 2004)
Nach Schätzungen des Börsenblatts, einer Fachzeitung des Buchhandels, werden mit Esoterikliteratur jährlich fünfzehn Milliarden Mark Umsatz gemacht. Der österreichische Esoterikkritiker und Sachbuchautor Roman Schweidlenka schätzt, dass ein Viertel der esoterischen Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum rechtsextremistisch eingestellt sei. Schweidlenka spricht bereits von "arischer Esoterik".
Armin Pfahl-Traughber, Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln, bestätigt: "Wenn ich in den Esoterikabteilungen der Buchhandlungen willkürlich ins Regal greife, erwische ich immer öfter ein Buch mit rechtsextremistischem Inhalt."
Solange sich die Verirrungen auf sogenannte „Ufo-Gruppen“ beschränken, ist das alles nicht weiter dramatisch. Bedenklicher wird es schon, wenn rechte Esoterik auch die Jugendszene erfaßt. Und das versucht sie so massiv, dass sich dort inzwischen bereits Gruppen unter dem Slogan „Gruftis gegen Rechts“ zusammengeschlossen haben, um der wachsenden Durchdringung mit braunem Gedankengut entgegenzuwirken.
Spätestens hier zeigt sich, dass es in meinem Film keineswegs nur um harmlose, sondern auch um gefährliche Erscheinungen geht. Viele Beobachter der Szene sehen die beschriebene Entwicklung mit wachsender Besorgnis, und eine zunehmende Zahl von Autoren setzt sich kritisch und analytisch mit den Verflechtungen zwischen Rechtsextremismus und Esoterik auseinander. Nicht nur in wissenschaftlichen oder publizistischen Buchveröffentlichungen, von denen hier exemplarisch nur die Titel
„Die Sprache des Hasses. Rechtsextremismus und völkische Esoterik“
„Die Götter des New Age. Im Schnittpunkt von Neuem Denken, Faschismus und Romantik“
„Ästhetische Mobilmachung, Dark-Wave, Neofolk und Industrial im Spannungsfeld rechter Ideologien“
genannt seien, sondern auch in großen Zeitungen und Zeitschriften, wie Spiegel, FAZ oder „ZEIT“.
Und das ZDF-Magazin „Aspekte“ konstatierte im August 2004 in fernsehtypisch dramatisierter Zuspitzung: „Es ist keine Frage: Esoterik mutiert heute zum wichtigsten Aufmarschgebiet des neuen Rechtsextremismus - eine unheilvolle Entwicklung ...“
Unter diesen Gesichtspunkten ist die „Mondverschwörung“ alles andere als ein erbaulicher Grenzgang durch sonderbare Subkulturen, auch, wenn das auf den ersten Blick so scheinen mag. Der Film beleuchtet vielmehr Themen von hoher gesellschaftlicher Brisanz.
Links zum Thema
DIE ZEIT: Esoterik dringt zunehmend in den Alltag ein
Neulich in der „Süddeutschen“: interessanter Artikel zur Mondgläubigkeit